…und wir fiebern mit!

SPD, SPD, SPD. Seit Sonntag ist’s offiziell. Und zwar in einem Landstrich, der recht mager anzusehen ist. Denn die schönste Vorstadt Berlins mit dem vielen Land drumherum ist so dünn besiedelt, dass man die Altmark – trotzdem viele hier traditionell gebaut sind – schnell übersieht. Vergessen, abgehängt, AFD-Land! Attribute, die wir immer wieder gern von außen übergestülpt bekommen. Oder: „Der Urlaub war toll, coole Gegend, wir kommen wieder – aber leben kann man ja bei euch nicht, in dieser strukturschwachen, nebeligen Grauzone, irgendwo zwischen Brandenburg und Hannover.“ Das zu hören tut weh! Immer wieder.

Wahlparty: Patrick Puhlmann (SPD) wird mit 70 Prozent der Stimmen neuer Landrat im Landkreis Stendal. Foto: Bernd-Volker Brahms

Dabei sind wir sooooo mutig. Quasi Vorreiter des Ostens!

Am Wochenende war Landratswahl, alle sieben Jahre wählen wir hier unser Oberhaupt. Wer Landrat wird – ist quasi Bundeskanzler der Altmark, zumindest von einer Hälfte. Nein – wir haben nicht die AFD und auch nicht die CDU gewählt. “Dann bleibt ja nur noch Die Linke”, kommentieren jetzt sicher Einige. Pffffff!, denke ich. Wir, die Altmark, haben einen SPD-Mann gewählt. Und sind so happy. Den Kommentaren unwissender Menschen können wir nun etwas entgegensetzen, und zwar mit 70 Prozent.

Nach gefühlt 20 Jahren mit der CDU erneuern wir uns – und zwar einfach so und über Nacht! Dass die Wahlbeteiligung sehr gering war, verschweige ich. Denn tief drinnen waren wir verärgert! Schon sehr sehr lange, aber die Altmark hat einen langen Atem. Wir lösen uns nur ungern von alten, vertrauten, und eben auch lieb gewonnenen Dingen. Und so hat es die Altmark lange tatenlos hingenommen, dass zum Beispiel die alte Partei zur Wahl wahrscheinlich Briefe gefälscht, sich wieder an die Spitze manövriert und dass die regionale Zeitung unermüdlich neue Skandale aufgedeckt hatte.

Doch nun blühen wir auf, vielleicht weil wir ausgehungert sind, weil wir Neues wollen.

Auch wenn das ne Überraschungstüte ist. Ich weiß nur soviel von dem Neuen: 36, verheiratet, und er ist Teamleiter einer Behinderteneinrichtung. Und er wirkt sympathisch. Das habe ich spätestens am Wahlabend in der Stendaler Lavanderia gefühlt. Ruhig stand er da, ein paar Presseleute drumherum, und da drumherum viele Einheimische. Patrick Puhlmann hat sich bei allen bedankt. Nee – nicht mit den typisch floskelhaften Vokabeln, sondern so, als würde sozusagen ich auf der Bühne stehen und sprechen.

Und so soll es ja auch sein – da steht einer, mit dem wir uns identifizieren können. Vor Monaten hatte ich das erste Mal sein blasses Gesicht auf den Wahlplakaten gesehen, an jeder Straße. In der Lavanderia hat mir ein guter Bekannter erzählt, dass er quer denkt. Er kennt ihn wirklich gut – die beiden sind Arbeitskollegen. Und ich weiß, dass er gebürtig aus Sachsen-Anhalt kommt. Und dass er im Zivildienst gemerkt hat, wie erfüllend die Arbeit mit Behinderten ist. Dass er Kompromisse zulässt. So wie seine Partei, die sich zur Wahl mit den Grünen und den Linken zusammengetan hat. Nicht dass wir jetzt naiv denken, dass alles anders und besser wird. Der Verwaltungsapparat is ja gleich. Aber da ist so ein Gefühl! Dass da jemand ist, der auch mal neue Dinge zulässt. Vielleicht auch Entscheidungen wagt, zu denen bisher keiner Mut hatte, der auch mal aus dem Gefühl reagiert, der auch mal was falsch macht, der spielerischer ist. Und der dann wieder ausbalanciert. Und der trotzdem immer wieder bei sich bleibt. Also bei uns! Bei der Altmark! Ich drück ihm die Daumen.

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