Thomas Koberstein – ein Mensch mit Passion, wie ich es selten erlebte… Ich begleite den ehrenamtlichen Weißstorchbetreuer in der westlichen Altmark 2019 immer wieder auf Recherchetour für das Reisebuch “In the middle of Nüscht”. Bekomme die volle Dosis “Virus Storch” und weiß ein Jahr später: an Omas Weisheiten ist (doch) was dran… “Fliegt ein Storch über deinen Kopf Mädchen, bekommst du ein Kind”, pflegte sie zu sagen. Und ergänzte als ich älter war: “Also pass immer gut auf”. Thomas Koberstein und ich scherzen über solche Mythen bei unserer ersten Begegnung; Mitte Juni 2020 bin ich wieder Mutter – diesmal eine Ü40. Mein Altmarkbaby ist da – zehn Jahre später als geplant. Eine enge Freundin reagiert freudestrahlend mit John Lennon auf meine nervös entsetzte Schwangerschaftsbeichte: “Life is what happens when you’re busy making other plans”.

Das nur am Rande, aber apropos Pläne: Manche Geschichten schaffen es nicht ins Nüscht-Buch. Die vom Storch – meiner Meinung nach DEM Vogel der Altmark und woraus eine 20-Kilometer-Radtour entsteht – sie ist so eine. In Teil 2 “In the middle of Nüscht – Go West” füllen 28 Reportagen die rund 400 Buchseiten. Es hätten locker doppelt so viele sein können und wer weiß… Doch jetzt, da hüpft es wieder waghalsig auf und ab in den Horsten und auf den Dächern hier im nördlichen Sachsen-Anhalt. Die Jungstörche sammeln sich; üben für ihren ersten großen Flug gen Süden. Und da denke ich (wieder) an Thomas Koberstein. Seine mitreißenden Geschichten zum Beispiel über die Fähigkeit der majestätischen Zugvögel, Menschen als Symbol der Völkerverständigung zusammenzubringen. Also immer dem Klappern nach – dem Soundtrack seines Lebens. Bevor die Störche wieder weg sind. Doch auch dann lohnt sich die Radtour…

Foto: Sabrina Beyer

Entschleunigung auf Storchen-Radtour in der West-Altmark

Wer Urlaub in der Altmark macht, sollte unbedingt sein Fahrrad mitbringen oder eins ausleihen. So lässt sich die Weite des Landstrichs mit ihrer Fülle an Natur und Kultur am besten entdecken – aufgrund zum Teil naturbelassener Wege nicht mit schmaler Rennradbereifung zu empfehlen. Diese leichte, familienfreundliche Strecke am nordwestlichen Zipfel des Altmarkkreises Salzwedel ist nichts für Hochleistungssportler, die “Strecke machen wollen”. Hier geht’s um Entschleunigung von Horst zu Horst, vorbei an saftigem Grünland, wo ihr die altmärkischen Störche ungestört in ihrer natürlichen Umwelt erleben können – auch über “Storchen-TV” beim Brutgeschäft. Dazwischen ein beeindruckender Buchen-/Laubmischwald am beschaulichen Flüsschen “Alte Dumme” und kulturelles Kontrastprogramm in der Kirche Osterwohle an der “Altmärkischen Sagenstraße” mit Schnitzwerk aus dem 17 Jahrhundert. Lasst euch in der Schlossruine Tylsen außerdem in einen Dornröschenschlaf versetzen. Tipp: Nehmt euch Zeit, packt Fernglas, Verpflegung und Picknickdecke ein. Und bitte Augen wie Ohren immer in Empfangsbereitschaft halten! Mit bis zu zwei Metern Flügelspannweite, einer Größe von stehend bis zu einem Meter, dem leuchtend weißen Federkleid mit metallisch schwarz glänzenden Schwungfedern und einem 15 bis 20 cm langen roten Schnabel ist ein Storch sehend leicht auszumachen. Hörend nicht weniger. Denn über die rhythmischen Bewegungen des Schnabels verständigen sich Störche untereinander – wobei sich freundliche Begrüßung, aufgeregtes Balzen, klägliches “Ich habe Hunger!” oder auch energisches “Hau ab!” deutlich voneinander unterscheiden.

Name der Altmark-Radtour “Immer dem Klappern nach: Friedensstifter Storch”

  • Länge: 20 km / Etappen: 4
  • Start/Ziel: Henningen, Dorfplatz im Zentrum mit sehr guten Parkmöglichkeiten
  • Verlauf: Henningen – Osterwohle – Bombeck – Tylsen – Wallstawe – Ellenberg – Langenapel – Henningen
  • Straßen und Wege: Asphalt und Plattenweg, Kopfsteinpflaster in den Dörfern, z .T. ausgeschilderter Radweg (Altmark-Rundkurs) und wenig befahrene Landstraße
  • Kondition: leicht, familienfreundlich, flach

Start: Henningen / 1. Etappe bis Osterwohle (ca. 3 km)

Los geht es auf den Spuren der altmärkischen Störche in Henningen, einem Dorf ca. 18 Kilometer westlich von Salzwedel. Auf dem zentralen Dorfplatz mit Denkmal für die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkrieges stehen ausreichend Parkmöglichkeiten zur Verfügung. Halbe Drehung, Kopf in den Nacken – dann entgeht euch das Storchennest mitten im Dorf nicht. Kein unüblicher Standort, denn der Weißstorch ist ein sogenannter Kulturfolger. Heißt: er hat sich dem Lebensraum von Menschen angeschlossen. In Dörfern mit Nähe zu Sümpfen, Wiesen, feuchtem Grünland, großen Teichen oder Weihern – umgeben von großflächigen landwirtschaftlichen Arealen. Das garantiert ausreichend Nahrung für die drei bis fünf Jungen. Hier lässt sich aus nächster Nähe die bis zu zehn Zentner schwere und bis zu drei Meter hohe Horstbaukunst betrachten. “Und die vielen Mitbrüter”, rät Thomas Koberstein genauer hinzusehen. Nicht selten wohnen dort Stare oder Sperlinge zur Untermiete. Fertig für den Start? Die Landstraße von Henningen nach Osterwohle ist wenig frequentiert; gesäumt von saftigen Wiesen und Feldern. Tief einatmen und Fahrtwind genießen!

Foto: Sabrina Beyer

Halt in Osterwohle: faszinierendes Kontrastprogramm mit Holzschnitzereien

Folgt in Osterwohle dem Schild Richtung “Historische Kirche”. Nach einem kurzen Stück Kopfsteinpflaster öffnet sich die Welt zur sagenhaften Altmark – im wahren Wortsinn! Das kleine Dorf beherbergt ein kirchliches Kleinod von Weltrang und ist fünfte Station auf der “Altmärkischen Sagenstraße” – ein Rundkurs, entwickelt vom Salzwedeler Urania e.V. Eine Schautafel klärt auf, wie die Kirche zu Osterwohle zum faszinierenden Schnitzwerk kam. Und das war in Kurzform so: auf dem Osterwohler Schloss lebte einst ein grausamer Ritter, der einen Künstler gefangen nahm, die Pfarrerstochter entführe. Beide flohen in einem unterirdischen Gang zur Kirche – die Rettung. Gott zum Dank versah der Künstler die Kirche mit Schnitzwerk. Soweit die Sage. Zur Realität: Oleke von Saldern beschäftigte nach dem Tod ihres Ehemannes zahlreiche Schnitzer, um ein einmaliges und noch immer sehr gut erhaltenes Kunstwerk im Stil des Manierismus (Übergang zwischen Renaissance und Barock) zu erschaffen. 1621, ein Jahr vor ihrem Ableben, wurden die Arbeiten abgeschlossen. Zu bestaunen gibt es Darstellungen von Engeln, biblischen Gestalten, fantasiereichen Köpfen, Gesichtern und auch Fratzen in dunklem Eichen- und hellem Lindenholz. Dazu ein detailreicher Triumpfbogen mit filigranen Apostelfiguren, im Zentrum ein Taufständer, eine Kanzel, ein Sitzgestühl und eine reich verzierte Holzkassettendecke. Prädikat: absolut sehenswert! Wer im lauschigen Pfarrgarten nicht nur Rast machen und sich die Nase an den großen Fensterscheiben plattdrücken möchte, bucht vorab eine Führung. Die Kirche in Osterwohle hat keine festen Öffnungszeiten!

Foto: Sabrina Beyer

Kontakt: Evangelische Pfarramt in Dähre, Tel: 039031-222, Terminwünsche auch auf den Anrufbeantworter sprechen und Rückrufnummer hinterlassen.

Mehr Lust auf „Sagenhafte Altmark“? Auf rund 35 Kilometern Rundkurs werden Sagen der Stadt und des Altmarkkreises Salzwedel vorgestellt. Eine Sagen-Führung informiert über Geschichte, Sehenswürdigkeiten und Denkmale. Anmeldung: Tourist-Information Salzwedel, Neuperverstraße 29, Tel: 03901-422438 oder Salzwedeler Urania e.V, Reichestrt.12 , Tel:03901-27733, Email: Urania_SAW3@gmx.de, Flyer unter www.urania-salzwedel.de

2. Etappe: Osterwohle – Bombeck (ca. 1,5 Kilometer)

Inspiriert geht es weiter Richtung Salzwedel. Hinterm Ortseingangsschild Bombeck überquert ihr die “Alte Dumme” – was sich aufgrund seines innewohnenden Wortwitzes zum beliebten Fotomotiv entwickeln könnte 😉 Einmal quer durchs Dorf, hinterm Ortsausgangsschild rechts halten und in den ausgeschilderten, asphaltierten Landwirtschaftsweg einbiegen. Vorbei an der Biogas- und Schweinezuchtanlage bis ihr an einer Weggabelung steht. Dort gelangt ihr geradeaus Richtung Groß Wieblitz auf den zertifizierten Radweg “Altmark-Rundkurs”. Achtung: ein nur unscheinbarer Holzwegweiser linker Hand gibt Auskunft darüber. Der Weg nach Bombeck hat eine bemerkenswerte Hochsitzdichte. Tipp: Runter vom Sattel und rauf auf den Ausguck, Fernglas auspacken, Störche und Rehe beobachten.

Foto: Sabrina Beyer

Halt in Bombeck: Picknick am Fluss und Waldbaden

Knappe 5 Kilometer nach dem Start der Tour zeigt sich die “Alte Dumme” von ihrer schönsten Seite. Von der schmalen Holzbrücke aus habt ihr in beide Richtungen einen bezaubernden Blick in die Landschaft. Das ein oder andere “Hach” und “Ach” mit Festgucken sind garantiert. Breitet eure Picknickdecke aus oder nutzt das Holzhäuschen mit Bänken zur Stärkung.

3. Etappe: Bombeck – Tylsen (ca. 2,5 Kilometer)

Genug Sonne getankt? Dann freut euch auf einen angenehm kühlen Laubmischwald mit vielen Buchen, in den ihr rechts abbiegen. Folgt hier dem Holzschild nach Tylsen. Ihr möchtet am liebsten schon wieder vom Rad steigen? Tut das und folgt der deutlichen Einladung zum “Waldbaden” – einer alten japanischen Entspannungstechnik in der Natur, wobei das Baden für das Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes steht. Mit allen Sinnen. Also hinsetzen – Augen zu, nur hören und riechen – Augen auf, nur beobachten, fühlen und vielleicht auch schmecken. Energiegeladen geht’s am Ortseingangsschild Tylsen weiter auf einer Kopfsteinpflasterstraße ins Dorf hinein, das schon 956 erstmalig unter dem Namen Tulci urkundlich erwähnt wurde, weil Otto I. dem Stift Quedlinburg sechs Dörfer schenkte.

Extratipp: Unmittelbar am Ende des Waldes, gleich rechter Hand, geht es über einen unscheinbaren Pfad tiefer in den Wald hinein, wo er sich direkt wieder lichtet. Dort findet ihr uralte Erdbegrebnisstätten der Familien von Schulenburg und von dem Knesebeck, die seit dem 14. Jahrhundert Besitz in Tylsen hatten. Auf einer Steinplatte heißt es beispielsweise: “Hier müßte der letzte Besitzer von Tylsen-Niepenhagen, Romolus Freiherr von dem Knesebeck-Milendonk ruhen. Geb. Rom 1882, gestorben als Flüchtling in Dortmund. Er hatte kein sehr glückliches Leben.”

Halt in Tylsen: “Storchen-TV” und Dornröschenschlaf an der Schlossruine

Gleich rechter Hand begrüßt euch die hoch aufragende Feldsteinkirche. Eine zum Verlieben, so heißt es, seit sich ein Storchenpaar dort ein Nest baute. Über “Storchen-TV” im Innenraum seid ihr beim Brutgeschäft, Füttern der Jungen oder den ersten Flugversuchen live dabei. “Immer sonnabends und sonntags von 9 bis 17 Uhr. Aber nur von März bis Ende September, da passen wir uns ganz dem Rhythmus der Störche an”, erklärt Jörg Hirsch, Vorsitzender des Heimat- und Kulturvereins Tylsen. e.V. Ihm gehört der “Alte Kuhstall” direkt gegenüber der Kirche, wo jeden Sonntag ab 15 Uhr im Bücher- oder Fotocafé frischer altmärkischer Kuchen angeboten wird. Dazu wechselnde Veranstaltungen wie Kräuterwanderungen oder Feste. Davor laden Bänke und Tische zu einer Rast mit Blick auf das “Alte Schloss” ein, das eigentlich eine Burg war, von 1134 bis 1170 zur Zeit des Markgrafen Albrecht der Bär erbaut wurde und auch heute noch bewohnt ist.

Foto: Sabrina Beyer

Aktuelles Programm und Kontakt: Heimat- und Kulturverein Tylsen e.V., Am Schafstall 3, 29410 Salzwedel, Tel: 0179-9823921, www.heimatundkulturvereintylsen.de, Emails: info@heimatundkulturvereintylsen.de oder joerg-m.hirsch@gmx.de

Zu einem der schönsten lost places der Altmark zählt das “Neue Schloss” mitten im Dorf – 1621 von Thomas von dem Knesebeck erbaut, was eine antike Inschrift über dem Portal belegt. Biegt am Haus Nr. 19 auf der Dorfstraße rechts ab und fühlt euch wie im Märchen von Dornröschen. Denn das, was vom einstigen aus Granit-Feldsteinen errichteten mehrgeschossigen Renaissancebau übrigblieb, nehmen nach und nach Efeu, Sträucher und Bäume in Besitz. Wunderschön, wenn die Geschichte keine so bittere Note hätte. Eine Mahnung des Grafen v. d. Schulenburg an der Holzbrücke erklärt die Tragödige so: “Hier stand einst ein schönes Schloss […], baulich in gutem Zustande, keinerlei Schäden des letzten Krieges aufweisend. 1948/49 wurde dieser Bau von böswilligen Zeitgenossen zerstört, das Inventar in alle Winde zerstreut, vielleicht auch mitgenommen. Möge unser Hergott solches Tun nie wieder zulassen.” Die Leute im Dorf finden deutlichere Worte: “Der Bürgermeister, der Schweinepuckel, der hat das damals alles abtragen lassen.” Das Schloss wurde geschleift, jegliches Material entnommen, um in der Nachkriegszeit damit Neubauten zu errichten oder Gebäude auszubessern. Dabei hatte es die großen Kriege der Zeit überdauert und blieb auch von den Irrungen und Wirrungen danach verschont.

Foto: Sabrina Beyer

Tipp: Lasst eure Kinder auf dem Spielplatz mit Tischtennisplatte, Fußballfeld und Klettergerüsten austoben, während ihr euren Gedanken zur Geschichte des Schlosses noch ein bisschen nachhängt. Stärkt euch für die nun folgende längste Etappe zurück nach Henningen.

4. Etappe: Tylsen – Henningen (ca. 13 Kilometer)

Biegt am Denkmal für die Gefallenen des Krieges in der Mitte des Dorfes rechts in den Mühlenweg ab. In Wallstawe angekommen biegt rechts Richtung Diesdorf ab und gelangt dem “Altmark-Rundkurs” folgend nach Ellenberg. Dazwischen Wiesen, Felder und die für die Altmark bekannten Reitsandwege. In Ellenberg verlasst den “Altmark-Rundkurs” und biegt rechts in die Alte Schulstraße ab, um auf der wenig befahrenen Landstraße (L6) immer geradeaus wieder am Ausgangspunkt der Altmark-Radtour “Immer dem Klappern nach: Friedensstifter Storch” anzukommen.

Foto: Sabrina Beyer

Viel Spaß dabei und willkommen in the middle of Nüscht!

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